„Ach, ich wäre gern noch etwas geblieben!“ steht auf Oppas Grabstein, und das, obwohl er 117 Jahre alt geworden ist, für Menschen seines Jahrgangs ein respektables Alter, wenn man bedenkt, dass die Honks damals ernsthaft mehrere Jahrzehnte geraucht und Rindfleisch wie Bonbons gegessen haben. Und Bonbons wie Bonbons gegessen haben, wider besseren Wissens. Eine meiner prägendsten Erinnerungen an Oppa ist, dass er „Ach“ wie ein vollwertiges Wort verwendet hat. „Ach, eigentlich war das schon immer etwas albern“, sagte er über Musik, bei der er heimlich immer ein wenig geweint hat. Oder „Ach, Weintrauben?“ wenn die Sonne unterging und der noch ältere Oppa von nebenan auf dem Akkordeon ein Lied über seinen toten Esel gespielt hat.
„Was war die größte Dummheit, die du je begangen hast“, fragt mein Vater meinen Oppa und mein Oppa überlegt ganz lange, schon scheint es mir, dass er eine innere Liste anlegt und sortiert, dann sagt er: „Ach, das muss gewesen sein, als ich mal vom Supermarkt kam, bis unter beide Arme mit Tüten beladen, links die mit den Weinflaschen, rechts die mit den Schweinefilets, das Klopapier in der Achselhöhle. Ich komme also rein, da schwirrt so eine Fliege herum und nervt und nervt und fliegt immer um meinen Kopf herum, na klar, weil ich geschwitzt bin. Aber ich kann sie nicht verjagen und schon gar nicht tothauen, weil alle meine Hände, sogar die Arme, so beladen sind, dass ich die dämliche Fliege nicht verjagen kann, und da beging ich meine größte Dummheit: Die Fliege war gerade ein wenig weggeschwirrt in Richtung Herd und ist dann aber im Flug umgekehrt und sie kam wieder auf mich zu und in einem Reflex – denkt Euch diese Dummheit mal aus! – versuche ich, sie mit einem Kopfstoß aus der Luft zu holen. Nicht im entferntesten habe ich sie erwischt und wenn ich sie erwischt hätte, hätte sie höchstens einmal Ach gesagt. Aber ich habe für eine Sekunde wirklich geglaubt, ich könne eine Fliege mit einem Kopfstoß aus der Luft holen. Sowas Dummes.“ Und lacht sich kaputt, mein Oppa.
„Oppa“, frage ich, „was hat das Leben dich gelehrt, das du mir weitergeben kannst?“ und Oppa sagt: „Ach, ich glaub, nicht aufhören ist ganz gut.“ Und wie ich ihn so ein bisschen komisch angucke, sagt er: „Pause machen muss man, klaro. Aber nicht aufhören.“
„Warum habt ihr alles verbrannt, erst Kohle und Öl, dann Rindfleisch auf euren Grills und am Ende dreiviertel des Planeten?“ fragen meine Kinder und ich will schon dazwischen gehen, da sagt Oppa: „Es tut mir leid. Das Wetter war ganz schön und es ist eine Schande, dass das der einzige Grund dafür war, dass wir es nicht anders gemacht haben.“ Als die ersten Flüchtlinge kamen, weil Indien verbrannt ist, sagt Oppa, haben sie gedacht: Ach, programmieren können die doch, oder? Ist doch besser als dieses elende Offshore-Gecode, jetzt sind die halt hier, ist doch auch irgendwie ganz gut. Und haben viele eingestellt, damals, als die Firmen in Europa noch Geld hatten.
„Oppa, was ist deine größte Schuld?“ fragt meine Jüngste und Oppa sagt: „Ach, ich weiß nicht. Neun Rechner und sechzig Paar Schuhe dauert mein Leben. Den Kunststoff habe ich nicht erfunden, aber benutzt. Ich habe Musik gemacht und gedacht, ich mache was Gutes, aber das Schlechte, das habe ich immer erst hinterher bemerkt.“
„Oppa, was war das Beste, das du gemacht hast?“ und Oppa sagt: „Na, ihr seid doch hier, oder?“