Was ich nach sechsacht Jahrhunderten auf Twitter plötzlich feststelle: Es ist (unter anderem) die Emotion, die Twitter so gut macht. Da hauen die Leute raus, was ihnen über die Leber gelaufen ist. Und das Gute an der Emotion scheint mir zu sein, dass sie unverstellt ist (weil sie kaum verstellbar ist) und daher dem Zwecke dienlich ist, die Identifikation mit den Gelesenen zu erhöhen.
Irgendwas passiert und eine schreibt was dazu. Rantet ab. Und schreibt danach weiteres dazu und wird friedlicher. Und ändert vielleicht ihre Meinung nach drei Tagen. Und das ist der gleiche Prozess, den ich vielleicht selbst zu diesem Thema durchlaufe. Und das ganze ist nicht rational und nicht begründet, sondern es passiert einfach so. Und das macht es so nachvollziehbar und… menschlich.
Man darf also nicht nur am Meinungsbildungsprozess anderer teilhaben, sondern man wird darüber hinaus noch ihrer ganzen Menschlichkeit während dieses Prozesses gewahr, eben jener Menschlichkeit, die man für sich selber gern einfordern würde (es aber z. B. im Berufsleben nicht tut), eben jener Menschlichkeit, die einem erst eine gewisse Gewissheit gibt, weil sie emotional ist.
Und ständig versuche ich, meine Emotionen nicht zu zeigen, sie zu unterdrücken oder mich zumindest nicht von ihr leiten zu lassen. Das ist völlig ok so, aber welche Funktion hat die Emotion denn, wenn sie mir eigentlich nur lästig ist? Sie könnte die Funktion haben, Glaubwürdigkeit zu transportieren. Und – das glaube ich an meinen Kindern feststellen zu können – wichtiges von weniger wichtigem zu trennen. Wenn ich meinem Sohn sage, er soll nicht mit den Kartoffeln rumspielen, dann hört er das und vergisst es im nächsten Moment. Wenn ich hingegen sehr emotional reagiere, weil er gerade an der Steckdose spielt, dann merkt er sich viel länger, dass es mir damit ziemlich ernst ist und dass da etwas dran ist, das über die Meinung, den Kopf, seines Vaters hinausgeht. Etwas, was noch nicht mal sein Vater (der Held) unter Kontrolle hat. Etwas Wahrhaftiges.
Emotion ist auch ein bisschen Zugeben von „Ich weiß jetzt nicht mehr weiter“, das Eingeständnis, dass eine Grenze erreicht ist, hinter die man nicht mehr zu blicken vermag. Und dadurch, dass ich diese vermeintliche Schwäche zulasse, lasse ich eine Gleichstellung zu zwischen mir und meinem Gegenüber. Ich weiß nicht, was Du weißt, aber ich weiß nicht mehr weiter. Da liefert man sich plötzlich aus, und der, dem man sich (unfreiwillig) ausliefert, hat nun alle Möglichkeiten, damit umzugehen.
Ach Leute, ich weiß es doch auch nicht!