Früher, so sagt man, da waren Straßenlaternen noch magisch, sie wurden mit Gas betrieben und leuchteten funzelig und waren aus grünem Metall und jungendstilisch verschnörkelt, da ging man die Straße entlang, immer abwechselnd ein Baum in vollem Laub und eine dieser Laternen, Männer ohne Hüte waren suspekt und es wurden Stelldicheins abgehalten zwischen gefallenen Mädchen und Gentlemen, die sich im schlimmsten Fall dem Vorwurf des Geckseins ausgesetzt sahen.
Ich habe die Party verlassen, wir haben getrunken und gelacht, in der Straße steht noch immer die Hitze des Tages, in unserem Garten habe ich ein Feuer in einer Schale aus Gußeisen entzündet, es reichte mir bis zur Brust und ich wollte nackt hindurchspringen, aber ich ließ dann mein Bier stehen und ging los, aus dem Hoftor, die Straße entlang. Hier stehen diese heutigen Straßenlaternen, lang und gebogen, aus so grobem Zement oder Beton oder sowas, bucklig halten sie diese riesigen Neonröhren fünf Meter über der Fahrbahn. Ich denke noch, wie unmagisch, da sehe ich dort oben auf dieser buckliggebeugten großen Straßenlaternen jemanden sitzen. Oder vielmehr liegt er bäuchlings auf die Laterne geschmiegt und scheint zu dösen im Halbdunkel. Ich sehe ihn an und gehe näher ran und sehe ihn an und – es ist Alice Cooper! Ich erwarte, dass er jetzt jeden Moment irgendeinen Indianerquatsch redet, wie damals in Wayne’s World, aber er döst. Verwirrt gehe ich weiter und drehe mich noch einmal um. Aber er liegt da wie ein Kater auf einem HiFi-Regal und lässt eine Pfote lässig herunterhängen. Als ich die nächste Laterne passiere, schaue ich hinauf. Die Laterne ist frei. ich klettere hinauf. Ich habe etwas Mühe, in dieser Höhe das Gleichgewicht zu halten, so eine Stange bietet nicht viel Halt. Ein wenig verkrampft klammere ich mich fest, unter mir die erleuchtete Straße. Ich sehe zu Alice Cooper rüber. Er grunzt ein wenig und scheint zu schlafen oder so. Wenn Alice Cooper auf eine Straßenlaterne döst, fünf Meter über einer spätsommerabendlichen menschenleeren Straße, und sitze auf der Laterne daneben, dann hat man keine Hemmungen mehr, einen Promi anzusprechen. Wir sind uns ja ähnliuch. „Hey, Alice! Was tust Du hier?“ frage ich ihn. Er hebt seinen Kopf ein wenig. Und wurschtelt behäbig ein bisschen herum, sieht mich dann an und sagt: „Einsunendlich, zweiunendlich, dreiunendlich. Unendlichunendlich. Ist das nicht abgefahren?“ Ich denke nach und will was sagen. Von der nächsten Laterne höre ich Gelächter. Vorsichtig versuche ich in meiner Umklammerung des Betonpfahls den Blick zu wenden und strauchele dabei, ganz schön hoch, so eine moderne unmagische Laterne. Nach ein paar Sekunden unkoordinierten Greifens und Klammerns, Nichtloslassentrauens und dann doch Greifens kann ich hinüber sehen: Es ist Bruno Labbadia. „Der ist durch, der liegt hier nur noch rum und ist ganz Vitalfunktionen und sonst nichts mehr.“ Bruno Labbadia? Ich dachte, der wäre gerade Trainer bei… „Na und?“, sagt er. „Ich bin Trainer. Darf ich deswegen nicht hier sein?“ Ich denke, da stimmt doch was nicht. „Doch, alles in Ordnung“, sagt eine Stimme von einer weiteren Laterne. Sie ruft eher. Ich kann nicht erkennen, wer denn dort nun wieder sitzt. Ich versuche mich zu erinnern, ob mir die Stimme… „Du kennst meine Stimme nicht. Du kennst mich nur von Twitter.“ Was zum ….? „Wir sitzen hier seit Jahrhunderten“, sagt die Stimme von Twitter. „Wir sitzen hier seit Jahrhunderten auf den Straßenlaternen und ruhen uns aus. Wir reden mit Dir, schon immer, dahinten sitzt Helge und noch eins weiter Lothar Emmerich und Willy Brandt. Die haben sich ziemlich lange eine Laterne geteilt, keine Ahnung warum.“ Der Twitterer… „Nenn mich nicht Der Twitterer, Du kennst mich.“ Der Twitterer… „Orr!“ … welcher Twitterer bist Du denn? „Ich bin @chilligonzales„. Auf einer Straßenlaterne? Sitzt Du auch so unbequem? „Es ist furchtbar, ich hab die ganze Zeit Angst, hinunterzufallen.“ Wo sind denn die ganzen anderen, hier @pramesan und @moellus und so? „Die sind heute nicht gekommen, hatten keinen Bock.“
Ich weiß nicht. „Ich auch nicht“, sagt @chilligonzales. Ich gehe dann mal zurück zu der Party in meinem Garten. Das Feuer ist etwas kleiner geworden, mein angenülltes Bier ist warm. Ich reiche einigen Gästen ein paar frische Getränke. Ich bin Humano Menetekel und ich finde das Leben schön. Ich bin Humano Menetekel und mir sagt das auch alles nichts.