Gerade beim Indenschlaflangweilen der Kinder schwoffen meine Gedanken etwas ab und ich kam darauf, über meine Generation etwas nachzudenken. Wir™ (also meine Generation aus den Geburtsjahrgängen der Willy-Brandt- und Helmut-Schmidt-Zeit) mussten in keinen Krieg und weitgehend nicht einmal zur Bundeswehr. Wir haben gelernt, die Presse kritisch zu hinterfragen und gewaltfreie Konfliktlösungen zu finden. Wir sind super, denn wir wissen ganz viel und unserem schönen Leben ist nie die Grundlage entzogen worden durch Hunger, Krieg oder Naturkatastrophen. Wir sind die Generation, in der menschliche Erkenntnis endlich mal ungestört zu Ende entwickelt werden kann.
Und wir halten ganz hoch, dass wir unvoreingenommen sein müssen. Wir müssen alle Positionen hören und gelten lassen und dürfen keine über die andere stellen. Wir müssen uns unparteiisch ein Bild machen, uns ist eingetrichtert worden, uns bloß nicht manipulieren zu lassen von Subjektivität und tendenziösen Aussagen. Wir müssen immer misstrauisch sein, besser wir machen jede Erfahrung selbst als uns auf Aussagen anderer zu verlassen. Wir müssen uns erst ganz sicher sein, bevor wir eine Entscheidung treffen. Wir müssen das Zusammenleben mit unseren Partner*innen mindestens zehn Jahre mit allen Hintertüren offen getestet haben. Wir können Computer erst kaufen, nachdem eine vierjährige Recherche ergeben hat, dass dieses Gerät das beste Preis-Leistungsverhältnis hat. Wir kriegen Kinder erst, wenn beide Eltern einen unkündbaren Job und wir eine verbindliuche Unterschrift unter dem KiTa-Vertrag haben. Und bleiben, das steckt uns im Blut, so lange irgendmöglich unverbindlich. Unverbindlich ist gut. Unverbindlich ist flexibel. Unverbindlich ist die ewige Möglichkeit, das Maximale herauszuholen.
Das ist shice. Ich finde, parteiisch zu sein ist schwierig, aber es ist ein hohes Gut.
Das andere, was uns im Blut steckt, ist die ewige Angst vor dem sozialen Abstieg und der Arbeitslosigkeit. „Ihr werdet keine Biografien mehr haben, in denen man mit 16 bei VW anfängt und mit 62 aus eben diesem Job ausscheidet“, sagte man uns und das hat uns Angst gemacht, die bis heute nicht mehr weggegangen ist. Wir fühlen uns wie die Versager, weil unsere Jobs nicht sicher sind (auch wenn sie’s sind) und deswegen stellen wir Leistung Leistung Leistung in den Vordergrund und meinen damit Erwerbstätigkeit Erwerbstätigkeit Erwerbstätigkeit. Vor lauter Angst, wir könnten unseren Job verlieren, sagen wir immer ja zu allem, Wochenendarbeit, Überstunden und Spontanrettungseinsätze, damit der nächste Relaunch des Kunden wieder mal durch unsere Heldenhaftigkeit überraschend doch noch termingerecht über die Bühne geht.
Das ist auch shice.
Die Folge von diesen beiden Punkten scheint mir zu sein, dass wir™ uns nichts sehnlicher wünschen, als irgendwo anzukommen – vielleicht ein Haus zu besitzen und die Kinder in den Keller zum Spielen schicken zu können, damit wir unser Ruhe haben. Irgendwann sich nicht mehr so schrecklich anstrengen zu müssen, es soll irgendwann endlich alles ganz leicht sein, so wie es bei unseren Eltern alles ganz leicht war, damals. Und darum verschulden wir uns für ein großes Haus, das mit Designermöbeln und Kamin ausgestattet sein muss, damit wir eines Tages uns nicht mehr anstrengen müssen, weil irgendwann endlich alles einfach da ist, was wir uns wünschen und was wir brauchen. Aber wir haben Angst, dass uns das vielleicht irgendwer irgendwann wieder wegnehmen könnte, denn wir vermuten, dass wir dann nicht mehr fröhlich sein können. Wir haben Mindestanforderungen, ohne die Unbeschwertheit für uns nicht möglich ist und wir sind immer ganz kurz davor, diese Mindestanforderungen zu erreichen – bis sie dann wieder wie unser eigener Schatten vor uns zurückweichen.
Gerade fällt mir auf, dass ich hier ein ganz altes Lied singe, das Lied von der Entsagung vom Materiellen. Dabei mag ich Materielles. Zum Beispiel gutes Essen und Zentralheizung. Kaminfeuer und fließend warmes Wasser. Schnelle Internetverbindungen und Video on Demand. Aber worum es mir geht: Lasst uns doch keine Angst mehr haben. Lasst uns ein bisschen darauf vertrauen, dass wir nicht verhungern müssen und lasst uns fröhlich immer neues machen bis wir sterben und wenn wir sterben, lasst uns eine Forderung stellen, als würden wir morgen noch leben.
Aber ich hab ja leicht reden, denn ich bin nicht alleine.