Ich sitze auf dem Balkon eines Ferien-Ressorts in Binz auf Rügen und kann das Meer sehen. Pulle Lübzer ist offen (ich glaub, das trinkt man hier so, schmecklecker…) Eine Zwei-Personen-Band spielt allerschlimmste Schlager und singt leider selbst und die vielen Großeltern, die hier mit ihren Enkel*innen abgestiegen sind, werden ein wenig sentimental, unten in der Tiefgarage haben sie den Mercedes S124 stehen, den sie seit 1986 immer noch fahren (und nicht wie diese Hipster jetzt erst gekauft haben). Die Sonne scheint und es ist warm in Binz. Alles ist gut.
Jeden Tag gehe ich die abgezählten 54 Schritte in die Ostsee, die Wetterlage beschert uns eine für Ostseeverhältnisse kräftige Brandung und Sonne und Wind, es ist warm, die Ostsee hat 19ºC und die Kinder und ich rennen immer mal wieder einfach mal schnell da rein. Am Ende der Promenade, die sehr lang ist, gibt es eine Fischräucherei, die samtweiche Buttermakrele verkauft. Wir, also @frau_ratte und ich, mussten sie uns heute mit einer Flasche Stralsunder Pils reintun und beinahe weinen vor Glück. Die Kinder sind so voller Tatendrang, dass sie den ganzen Tag in der Brandung stehen und schreien wollen. <3. Das angenehme daran ist, dass sie heute gegen 20:00 gefragt haben, ob sie jetzt ins Bett dürfen, ich habe das noch nie erlebt. Vorgestern hat Deutschland Brasilien im Halbfinale der WM 2014 mit 7:1 besiegt. Die Spieler der brasilianischen Mannschaft haben geweint, wohl eher nicht vor Glück. Mein Verständnis von Weinen ist ja ein anderes, in der Situation der brasilianischen Spieler hätte ich mich wohl eher totgeärgert, wäre aggressiv geworden oder hätte politische Konsequenzen im DFB, also dem brasilianischen Pendant des DFB, gefordert oder so. Naja, jeder Jeck ist anders. Anyway, ich war ja zum Glück für die deutsche Mannschaft.
Was ich damit sagen will: Alles ist toll these days. Ich bin tiefenenspannt. Fischbrötchen allenthalben, kaltes Bier sowieso, @frau_ratte relaxt, die Kinder können rennen und laut sein, weil die Brandung noch lauter ist, für Polly gibt es Hundestrand am laufenden Meter und wir haben noch dicke Pakete von Tagesprogrammen vor uns, die wir machen können, wenn wir Bock haben. Wenn wir keinen Bock haben, gehen wir eben kurz in die Ostsee oder trinken ein Stralsunder oder Lübzer. Oder essen Matjes. Übringens waren alle, ausnahmslos alle!, Matjes, die ich bisher hier hatte, phantastisch – vielleicht liegt das daran, dass ich max. einmal im Jahr Matjes esse, denn im #Rhineland gibt’s die nicht so. Oder zumindest esse ich die da nicht. Oder ich bin mieses gewöhnt und gebe mich daher mit durchschnittlichem zufrieden. Aber egal. The Matjes tastes right, I feel good und Rügen feels right.
Bei Instagram musste ich kurz mitansehen, wie der Rest der Republik in Regen und Nebel versinkt. Die TL hält Unerfreulichkeiten bereit, wo Piraten Twitterer tracken, die manchen nicht in den Kram passen oder sowas. Das perlt gerade an mir ab, ich lege das Smartphone weg. Ich besitze ja die Gabe des Gutfindens. I’m in a state of Gutfinden on Rügen.
Wie konnte es dazu kommen? Vor ein paar Jahren hätte ich möglicherweise noch alles schlimm gefunden hier. Strandkörbe, alte Faltensäcke die nackig am FKK-Strand laufen, Shice-Schlager im Em-Effing-Fuckfuck-RESSORT! Ressort! Allein Ressort! Touristen-Nepp! Urlaub in Deutschland! Keine existenziellen Erfahrungen, sondern alles nur arrangierte Unterhaltung! Alles gefaked! Wie kann ich mich nur so sauwohl fühlen? Wie kann ich nur die Formulierung „sauwohl“ verwenden?!
Ich sag’s Euch: Es ist nicht die Ferne. Es ist nicht die Musik. Es sind nicht die Renter*innen in Binz auf der Promenade. Es sind nicht die Schlager. Es ist nicht das Tiefseetauchen im Great Barrier Reef. Es sind nicht die S124 in den Ressort-Tiefgaragen. Es ist nicht mal die saugeile Ostsee oder das saugeile Wetter.
Es ist dieses „all is said and done“ für diese zwei Wochen. Die Erwerbstätigkeit ist ausgesetzt. Sie ist so ausgesetzt, dass uns für zwei Wochen mal alles egal sein kann. Keine Ängste, schon gar keine Existenzängste (hatte ich ja auch wohl schon), keine Abhängigkeiten, Freiheit in den Grenzen dieser zwei Wochen. Als Teenager habe ich über die Zeile Helge Schneiders gelacht: „Freiheit in Grenzen“. Und gleichzeitig habe ich gestaunt über Janis Joplins „Freedom is just another word for nothing left to lose“. Es geht um Organisation. Klingt shice, ist aber gile, denn es enabled mich, Sachen gut zu finden. Und die Rahmenbedingungen sind ausreichend.
Disclaimer: Ich versuche mir im Bewusstsein zu halten, dass ich privilegiert bin. Ich habe eine Familie, die so super ist, dass ich so gern mit ihr in so einem Urlaub bin. Ich bin von Hause aus mit Mitteln und Fähigkeiten ausgestattet, die mir ermöglicht haben, meine Erwerbstätigkeit so zu organisieren, dass sie einerseits gut genug bezahlt ist, dass ich mir das Ganze finanziell leisten kann, die mir andererseits aber auch genug Freiraum lässt, dass ich mein Leben so gestalten kann, wie ich es für gut halte. Ich glaube, dass ich, gerade weil ich diese Privilegien genieße, nahezu verpflichtet bin, das ganze gut zu finden (denn jetzt noch herumzunölen wäre ja ein Affront!). Und ich finde, Ihr solltet von mir Positives zu lesen bekommen, ich möchte Euch teilhaben lassen, denn ich habe ganz ganz viel Positives zu teilen. Mit geht es gerade gut und vielleicht geht es Euch dann ja auch gut oder, wenn es Euch nicht gut geht oder Nebel bei Euch ist, vielleicht kann ich Euch ja ein kleines Lächeln oder einen warmen Gedanken abringen, wenn ich Euch von Buttermakrelen mit Stralsunder Pils erzähle. Ach, bitte, habt ein wenig Freude, ich habe gerade ganz viel davon!
Lass doch mal auf Rügen Silvester feiern. Together with the other noses.
+1, ich frag mal in die Runde!
Neeneenee. So ne gute Laune wirkt ja hier eher bisschen abschreckend, aber das kommt ja bei Dir öfter mal vor. ;-)
Und Rügen ist ja auch ganz schön weit weg.
Schönen Urlaub!
„Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch.“
Hat Karl Valentin gesagt.
Ihr habt ja Recht. Kein Widerspruch möglich. ;-)
Made my day.