Heute vor 25 Jahren ist die Mauer gefallen und ich habe dazu einen eher musealen Bezug. Die Menschen feiern und sind wahnsinnig glücklich und ständig werden Bilder gezeigt, wie noch viel unermesslich glücklicher die Menschen vor 25 Jahren waren. Shice-Jeansjacken und Shice-Frisuren und sie sind so unglaublich glücklich, dass sie ständig alle weinen – und ich weine mit, denn glückliche Massen bewegen mich. Im Internet wissen alle aus meiner Generation, was sie am 9. November 1989 so gemacht haben und wo sie waren, am 9. November 1989. Ich weiß das nicht mehr. Ich könnte mir das zusammenreimen, ich war wahrscheinlich zu Hause und hab mir das im Fernsehen angeguckt. Ich kenne die Bilder der Jeansjacken auf der Mauer, aber ich weiß nicht mehr, wann ich die zuerst gesehen habe. Vielleicht gar nicht am 9. November 1989, sondern viel später, denn diese Bilder werden ja immer wieder gerne gezeigt.
Ich bin wirklich und aufrichtig bewegt, auch von dieser Lichteraktion in Berlin heute und von den Geschichten, die Beteiligte soeben bei Günther Jauch im Fernsehen erzählen. Ich finde diesen Mauerfall gänzlich unglaublich und dass das ganze ohne Blutvergießen und ohne Tote und Verletzte über die Bühne gegangen ist, ist das, was mich so tief berührt. Es geht um nichts weniger als um den Glauben an das Gute im Menschen, das ist das, was mich immer wieder zu Tränen rührt. Dass Menschen vor Freude auf den Straßen tanzen, das finde ich so toll, dass ich darüber weinen mag, auch wenn ich selbst nichts damit zu tun hatte und wir hatten m. W. bisher kaum einen derart breiten Beleg dafür, dass Menschen Gutes zu tun im Stande sind.
Und wie es die Gleichzeitigkeit von Ereignissen so will, demonstrieren in Erfurt zur gleichen Stunde, zu der in Berlin völlig zu recht eine der größten menschlichen Gutheitsleistungen gefeiert wird, Mitglieder der Thüringer CDU zusammen mit braunem Gesocks gegen eine von den Thüringer*innen gewählte Mehrheit. Am 9. November. Mit einem Fackelzug. Und ich erschauere, denn der 9. November ist ja nun auch der Jahrestag der Novemberprogrome von 1938. Und ein Landesverband der selben Partei, die mit meiner Partei derzeit die Bundesregierung stellt, zieht zusammen mit AfD und NPD durch Erfurt.
Ich möchte niemandem die Freude über das, was vor 25 Jahren geschehen ist, vermiesen. Ich möchte das, was vor 76 Jahren in Deutschland passiert ist, nicht überfreudetaumelt wissen. Ich bleibe am besten vielleicht einfach ein wenig leise und verspreche, nachdenklich zu bleiben.