Wie stehen wir jetzt wieder da. Heiko Maas, Bundesjustizminister der SPD, hat heute Leitlinien bekanntgegeben, nach denen eine Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung erfolgen soll (PDF). Das ist vielleicht eine shice, Mann!
Da ist erstmal der Vorwurf, dass die Sozis wieder einmal ein Überwachungsinstrument auf den Weg bringen, als hätte Otto Schily nicht schon genug Unheil über uns gebracht (das „uns“ könnt Ihr wahlweise als „uns, die Gesellschaft“ oder als „uns, die Sozis“ lesen, stimmt beides). Als hätten sozialdemokratische Konzepte und Ideen nicht bessere Ansätze, Terrorismus zu bekämpfen. Als würde uns nichts besseres einfallen als abzuwarten, bis Terrorist*innen sich radikalisiert haben und tätig geworden sind und dann zu versuchen, mit einem Wunderknöpfchen auf einem Wundercomputer alles rechtzeitig herauszufinden und sie dann ordnungsgemäß wegzusperren. Als würden wir da stehen und uns die Haare kämmen und furchtbar überrascht sein, dass plötzlich jemand shice wütend auf den Westen und unsere Lebensart ist. Als wäre der Menschheit völlig unbekannt, warum sich Menschen radikalisieren. Als wäre völlig unbekannt, als hätten wir nicht den Hauch einer Ahnung, wie man eine solche Radikalisierung abwenden könnte. Haare kämmen und die Nägel machen und darauf warten, dass der Supercomputer rechtzeitig Alarm schlägt, um diese Radikalen dingfest zu machen. Diese VDS, damit kann jede*r Praktikant*in dann den nächsten elften September bei Kaffee und Wurstbrot verhindern.
Mich nervt, dass meine Sozis da nicht lauter schreien. Und mich nervt noch viel mehr, dass diese andere Partei da, die, die wirklich so denkt, wie ich es gerade beschrieben habe, dass die völlig unbehelligt vom Zorn des Netzes da steht, sich den Nagellack trocken pustet, und sich freut, dass die dummen dummen Sozis ja gerade die volle Breitseite der Kritik auf sich ziehen. Und wieder wird nicht über die Union gesprochen. Das kotzt mich fast genauso an wie die Mutlosigkeit unserer vorderen Sozis.
„Was guckst Du mich so an, ich habe Piraten gewählt.“ Ja, danke, alle ihr Superpiratenchecker*innen. Mit Pauken und Trompeten aus der SPD austreten und eine eigene Partei gründen, sich darüber beömmeln, dass beim BPT am 06.12.2011 bei den dummen dummen Rest-Sozis im zweiten Wahlgang nach denkbar knapper Abstimmung dann doch eine knappe Mehrheit für die VDS zusammenkommt. Ich weiß, ich spekuliere, aber diese Haltung habe ich schon immer für falsch gehalten: Die SPD verlassen, weil sie angeblich nicht sozialdemokratisch genug ist, und dann, wenn die, denen ich das Feld kampflos überlassen habe, sich durchsetzen, laut „Siehste!“ rufen – und am Ende stehen wir mit was da? Mit so einer VDS-Shice. Aber ich zuck mal mit den Schultern, ich hab ja Piraten gewählt, also werden meine Daten ja nicht gespeich… oh!
Aber genug geweint. Was machen wir jetzt? Ich für meinen Teil bitte jetzt erstmal alle Bonner Sozis, am Samstag unserem Antrag zuzustimmen, demzufolge wir:
- als SPD Bonn die VDS (und wie auch immer sie genannt werden mag) ablehnen
- die SPD Bundestagsfraktion auffordern, einem Gesetzgebungsverfahren, das die VDS (oder wie auch immer sie genannt werden mag) einführen will, nicht zuzustimmen
- den Parteikonvent auffordern, sich gegen die VDS (oder wie auch immer blabla, s.o.) einzusetzen und ebenfalls die SPD Bundestagsfraktion aufzufordern, einem Gesetzgebungsverfahren, das die VDS einführen will, nicht zuzustimmen.
- den Bundesparteitag auffordern, (dasselbe wie für den Parteikonvent).
Dann bitte ich alle anderen Sozis bundesweit, das in ihren Ortsvereinen, Unterbezirken, Arbeitskreisen und -gemeinschaften auch zu tun. Dazu gibt es hier einen Musterantrag von D64. Ich bin mir nicht sicher, ob das die VDS verhindern wird, ich glaube ja eher, dass die Bundestagsfraktion die Koalition nicht für die VDS wird platzen lassen, aber wir sollten zumindest dokumentieren, dass die VDS ein Produkt der Union und nicht von uns ist.
Warum bin ich gegen die VDS? Hier ein paar Links:
- Niko Härting, „Warum die “Höchstspeicherfrist” keine “Höchstspeicherfrist” ist und warum die Maas-“Leitlinien” den EuGH links liegen lassen.“ vom 15.04.2015
- Sascha Lobo, „Vorratsdatenspeicherung: Wehren Sie sich!“ vom 15.04.2015
- Thomas Stadler, „Acht Mythen zur Vorratsdatenspeicherung“ vom 25.04.2014
Markus Beckedahl, „Das sind die neuen Pläne zur Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung“ vom 15.04.2015 - Christian Kahle, „Vorratsdatenspeicherung? Dänische Polizei winkt ab“ vom 30.05.2013
- Michael Kilchling et al., „Schutzlücken durch Wegfall der
Vorratsdatenspeicherung?“ von Juli 2011 (PDF) - Hans-Jörg Albrecht, Adina Grafe, Michael Kilchling, „Rechtswirklichkeit der Auskunftserteilung über Telekommunikationsverbindungsdaten nach §§ 100g, 100h StPO“ von Februar 2008 (PDF)
- Johannes Becher, „Die praktischen Auswirkungen der Vorratsdatenspeicherung auf die Entwicklung der Aufklärungsquoten in den EU-Mitgliedsstaaten“ vom 18.03.2011
- Pressemitteilung Nr. 54/14 des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 08.04.2014 „Der Gerichtshof erklärt die Richtlinie über die Vorratsspeicherung von Daten für ungültig“ (PDF)
- Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 02.03.2010
- Beschluss „Datenschutz und Grundrechte stärken – Datenspeicherung begrenzen!“ des SPD Bundesparteitags vom 06.12.2011 (PDF)
Nicht nur Ihr in der SPD leidet. Auch als CDU-Mitglied habe ich das Gefühl, bei diesem Thema immer wieder gegen Wände zu laufen. Dabei haben BVerfG und EuGH doch schon den Weg gewiesen. Aber die Volksparteien pudern sich munter weiter ihre Näschen.