Hier stehe ich, werft!

Soeben melden die Agenturen und Medien, dass der rechtsradikale Front National in Frankreich bei den Regionalwahlen stärkste Kraft werden wird. Und in Deutschland reden die Unionsparteien und sogar Teile meiner Partei den rechten das Wort.

Als ich 2013 Wahlkampf gemacht habe für Peer Steinbrück, habe ich für eine Wahlkampfaktion aus dem Fraktionsbüro im Alten Rathaus ein paar SPD-Banner mit dem Auto abgeholt. Damals dachte ich: „Was für ein Glück, ich kann heute Banner mit Logos einer sozialdemokratischen Partei ohne Angst in meinem Auto mit mir führen.“ Es gab auch Zeiten, da hätte ich das heimlich tun müssen und es gab nicht wenige Sozialdemokrat*innen, die in jener Zeit für ihre Überzeugungen in den Knast gewandert, wenn nicht gar ermordet worden sind.

Wir haben die Wahl 2013 krachend verloren, unser Kandidat war nicht glaubwürdig, aber unser Programm war großartig. Da stehen bis heute Dinge drin, für die ich mich am Infostand gern habe beschimpfen lassen, denn ich halte sie bis heute für richtig. Gewonnen haben damals CDU und CSU mit rund 42%, ohne ein Programm, ohne einen Kompass, einzig mit einer Kanzlerin, die alle lieben, weil sie niemandem wehtut.

Nach der Niederlage dachte ich: „Shice. Wenn das, was ich im Wahlkampf so vertreten und prognostiziert habe, wirklich eintritt, wird’s böse enden mit Europa.“ Ich habe das zur Seite gewischt, so schlimm wird’s schon nicht werden, dachte ich, „Du bist nur mies drauf wegen der verlorenen Wahl“, hab ich zu mir selbst gesagt. Und alle um mich rum haben gefeixt: Die blöde blöde SPD, wer hat uns verraten? Was machst Du bei denen? Europapolitik hat doch mit einer Bundestagswahl nichts zu tun, hieß es, als ich mit unseren Positionen zu Eurobonds, europäischer Steuergerechtigkeit und der europäischen Jungendarbeitslosigkeit das eine oder andere Menetekel an die Wand gemalt habe.

„Wird schon nicht so kommen“, hab ich mich nach der Niederlage beruhigt. Vielleicht kriegt die Merkel das ja doch hin, immerhin geht’s uns doch gut in Deutschland und vielleicht habe ich ja den einen oder anderen Zusammenhang herbeidiskutiert, den es so gar nicht gibt. Vielleicht habe ich Faktoren ausser acht gelassen, die alles ein wenig abmildern. Vielleicht hat Frau Merkel ja doch nicht nur leere Schachteln im Schaufenster stehen, vielleicht ist da ja doch irgendwo was dahinter und et hätt noch immer joot jejange.

Und heute? Die Union hat in der europäischen Solidargemeinschaft alles zerdeppert, was zu zerdeppern war. Für eine schwarze Null. Solidarität, dieser weicheste aller weichen Faktoren, wurde von selbsternannten eiskalten Entscheidern mit hart berechneten Euro-Summen beiseite geschoben.

Dann kamen die Flüchtlinge. Ich unterstütze voll den Kurs von Angela Merkel, aber leider tut ihre Partei das nicht. Seehofer und de Maizère liefern den Rechten täglich neues Futter, einziger Lichtblick ist die ehrenamtlich engagierte Zivilbevölkerung, die das leistet, was der Staat zu leisten verpflichtet wäre. Meine Partei zwischen den Stühlen: Einerseits macht sie als einzige Fraktion ihre Arbeit (und in weiten Teilen gar nicht mal schlecht!), andererseits eiert sie in der Außenwahrnehmung herum wie eh und je. Die europäischen Partner gucken auf das zerdepperte Geschirr und fragen: Deutschland? Die wollen uns vorschreiben, wie wir mit Flüchtlingen umzugehen haben? Mit dem vielen Geld, das wir dank ihrer Austeritätspolitik in Massen auf dem Heuboden liegen haben?

Und das linke politische Lager? Wo immer es etwas zu bekritteln gibt, wird die Schuld bei der SPD gesucht, mein Lieblingsargument: Die CDU tut wenigstens nicht so, als wolle sie etwas gutes, die wählen wir sehenden Auges mit 42% (inzwischen nur noch 36%), weil wir ganz offensiv ins Gesicht gesagt bekommen wollen, dass die fremdenfeindlich, homophob und im Schädel erstarrt sind. Die SPD hingegen müht sich ab, verrenkt und ringt mit sich und muss am Ende doch Kompromisse eingehen, für die wir Linken mit unserem 100%-Anspruch nur Verachtung übrig haben. Ach, eine alte Debatte, die mich ermüdet.

Und jetzt stehen die Rechten davor, Mehrheiten, also richtige Mehrheiten!, zu erlangen, wie die Exitpolls aus Frankreich heute Abend zeigen. Und statt dass das linke Lager geschlossen zusammensteht, wird gezetert: Verräterpartei, Verräterpartei! Tretet aus der SPD aus! Wählt die nicht! Schwächt sie wo ihr nur könnt!

Es will nicht in meinen Kopf, wie man nicht erkennen kann, dass man mit 25% der 2013 erlangten Stimmen gerade nicht 100% seiner Positionen durchsetzen kann. Es will nicht in meinen Kopf, wie man nicht erkennen kann, dass man am Ast sägt, auf dem man sitzt, wenn man ausgerechnet der SPD vorwirft, fremdenfeindlich, homophob oder gar kriegstreiberisch zu sein. Es will nicht in meinen Kopf, wie man nicht begreifen kann, dass die Kompromisse, die man mit 25% erzielt, natürlich nicht genau die Haltung wiedergeben, die man hat. Es will nicht in meinen Kopf, wie man sich hinstellen kann und gleich alles zur Hölle fahren lassen will, nur weil man nicht 100% seiner Haltung bekommt. Es will nicht in meinen Kopf, wie man sich genüsslich zurücklehnen kann, auf die dummen dummen Sozis schimpft und bestenfalls ein wenig über sie lacht, wie sie sich da abmühen, winden und zerlegen und am Ende doch wieder nur mit einem mäßigen oder miesen Kompromiss dastehen. Und es will nicht in meinen Kopf, wie man sich noch darüber freut, dass man ja von Anfang an recht gehabt hat: Wer hat uns verraten? Siehste!

Nun stehen die Rechten vor den Toren Roms. Wenn ich 2017 die Banner aus dem Keller des Alten Rathauses hole, wird es mir, wenn es gut läuft, etwas unangenehm sein. Wenn es schlecht läuft, werde ich das höchst stolz aber heimlich tun müssen.

Und 2021? Werde ich dann dafür abgeführt, wenn mein Kofferraum kontrolliert wird? Ich übertreibe vielleicht, aber ich fühle mich heute, als wären wir ungefähr bei Sekunde 20 in diesem deprimierenden Video hier:

Epilog

Wie oft habe ich mich gefragt: Wenn ich in Zeiten der NSDAP gelebt hätte, wäre ich ein Mitläufer geworden? Hätte ich den shice geglaubt und ihn toleriert? Hätte ich das aus Eigeninteresse vielleicht gar unterstützt? Ich hatte Geschichtsunterricht in der Schule, ich kenne in groben Zügen, was damals gelaufen ist. Mit dem Wissen kann ich zumindest für heute entscheiden: Wenn sich das wiederholt, wenn von mir aus  80% der Bundesbürger*innen die AfD oder einen ähnlichen Drecksverein wählen sollten, mein Standpunkt bleibt klar: Niemals werde ich solche Ansichten teilen oder tolerieren, und solange es irgend geht, werde ich mich für die Positionen in die Brust werfen, die mich zur SPD gebracht haben: Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Ich bin entschlossen.

tl;dr

Wer ganz einfache Lösungen haben will: Die SPD gehört gestärkt, weil sie die wichtigste Kraft gegen rechts ist. Helft uns!

Von Maxim Loick

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8 Kommentare

  1. du scheinst völlig zu vergessen dass deine Partei in jeder verdammten, wichtigen Abstimmung (z.B. VDS oder Syrien Einsatz) die ganzen Schweinereien die du der CDU vorwirfst erst möglich gemacht hat.

    Wer wollte „Merkel abschaffen“ ist aber dann lieber mit der Union ins Bett gesprungen obwohl rotrotgrün möglich gewesen wäre?

    und jetzt soll uns die Angst vor den rechten wieder vereinen?
    Ich lach mich kaputt.

    Die SPD ist vieles, aber bestimmt keinen linke Partei.

    1. Nein, das habe ich nicht vergessen. Die SPD musste in die Koalition mit Merkel, weil zu wenige SPD gewählt haben.

      Wer der SPD ihre linke Haltung abspricht, hat weder das Programm von 2013 gelesen, noch erlebt, wie Jusos und Sozialdemokrat*innen als erste auf dem Marktplatz stehen, wenn es gilt, Pegida et al. die Stirn zu bieten.

  2. Nein, die spd musste eben nicht.
    Die spd will genau das was sie tut. Dazu gehören VDS, die x-te verschärfung des Asylrechts oder die Zustimmung zum Syrienangriffskrieg ohne UN Mandat.
    Der Zwang unter dem sie angeblich gezwungen wird faule Kompromisse einzugehen existiert nur noch in den Köpfen romantisch verklärten alt SPD Wählern.
    Es gibt keine einzige rote Linie die die spd noch nicht überschritten hätte um am Futternampf zu bleiben.
    Der neuste Wahnsinn ist dieses Anti-Terror-Papier http://m.welt.de/politik/deutschland/article149660751/SPD-will-Gefaehrder-mit-Drohnen-ueberwachen-lassen.html
    Helft uns? Ganz bestimmt nicht!

    1. Dann mal nichts wie eingetreten in den Laden und das geändert! Wenn wir diese Positionen nicht mal in der SPD durchgesetzt bekommen, wie glaubst Du sind dann die Chancen es im Bundestag oder auf EU-Ebene durchzusetzen?

      Ich hab’s irgendwann schon mal gebloggt: Wie Linien laufen quer durch die SPD, dort muss man die Positionen gewinnen. So war’s dann auch damals bei Zensursula: Erst als die SPD mitgestimmt hat, wurde der Unsinn beendet. Und so läuft’s bei der VDS, bei Asylrechtsverschärfungen und bei der Zustimmung zu Kriegseinsätzen. Nicht weglaufen, sondern hingehen.

  3. Ich soll in eine Partei eintreten die eine Politik unterstützt die so beschissen ist dass nicht mal einem Spdler ein bessere Grund einfällt als die Partei grundlegend zu verändern?

    Mit diesem Argument könnte man auch zur AfD gehen.

  4. Nein, ich will sie nicht grundsätzlich verändern. Ich finde (fast) jede unserer Forderungen, die wir 2013 aufgestellt haben richtig. Einige davon hat die SPD durchgesetzt, ganz viele nicht.

    Was ist das für ein Politikverständnis? Dass eine Partei zu 100% meine Meinung haben und auch durchsetzen muss, sonst habe ich keine Lust mehr? So funktioniert das nicht. Parteien sind keine Meinungsdienstleisterinnen.

    Aber natürlich fühlt es sich besser an, wenn man auf der Couch alles shice finden kann, ohne je selbst für etwas einstehen zu müssen.

    Ich glaube sogar, dass das der eigentliche Grund für die allg. Politikverdrossenheit ist: Die Angst davor, für etwas einstehen zu müssen. Dafür beschimpft zu werden, dass der Mindestlohn nicht für Zeitungszusteller*innen gilt. Für die VDS mit in Haftung genommen zu werden, obwohl man persönlich strikt dagegen ist. Beim ersten Widerwort weinend wegzurennen, weil man es doch nur gut gemeint hat, aber die blöden aus dem Seeheimer Kreis ganz gemein zu mir waren. Und dann gründet man eine Piratenpartei und macht lustige Zeitreiseanträge aus dem Bällebad, danke für die vertane Zeit!

    Die Kämpfe müssen in der SPD gewonnen werden.

    Die Alternative, darauf zu hoffen, dass die SPD so schnell wie möglich zugrunde geht und durch was besseres ersetzt wird, gibt es nicht. Wir haben den Aufstieg und den Fall der Piraten erlebt. Es reicht nicht, sich etwas zu wünschen, man muss Forderungen nicht nur haben, sondern vor allem durchsetzen. Wenn der Schlüssel ins Klo gefallen ist, reicht es nicht „Ich seh ihn! Ich seh ihn!“ zu rufen, man muss reingreifen.

    1. Erst wirfst du mir vor, ich wolle viel zu viel an der SPD verändern, jetzt plötzlich blinde Parteilinie? Es geht doch nicht darum, in Nibelungentreue zur Partei zu stehen, sondern politische Ziele durchzusetzen. Der pragmatischste Weg ist, die SPD auf unsere Seite zu bringen, damit die sie dann in den Parlamenten durchsetzt.

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