Das Ritual

Heute waren Kommunalwahlen in Hessen und nicht sonderlich überraschend, aber deswegen keineswegs weniger schockierend hat die AfD nahezu flächendeckend erschreckend hohe Ergebnisse erzielt – einhergehend mit abermals gesunkener Wahlbeteiligung.

Es ist schon zu einem Ritual geworden: Wahlkampf, miese Beteiligung, shice Ergebnisse. Das nervt mich. Die TL quillt über von Leuten, die alle „Tja!“ rufen – und dabei schön Tatort gucken und mit dem Finger auf die zeigen, die sich getraut haben, in eine der demokratischen Parteien einzutreten und dort zu bleiben. „Habt ihr nicht gut genug performt, Daumen runter, ceterum censeo Sigmar Gabriel ist doof.“ Da werden die, die sich ehrenamtlich den Arsch aufreißen, noch dafür gegeißelt, dass sie versuchen, sich solchen Tendenzen wie den jüngsten Ergebnissen aus Hessen entgegenzustellen. Und allein gelassen. Aus der Ferne werden Urteile über Parteiarbeit gefällt, mit unerträglich uninformierter Selbstverständlichkeit wird behauptet, das läge alles immer nur daran, dass alle in der SPD (oder welcher anderen Partei auch immer) einfach viel zu doof sind.

Und weil, das sieht man ja!, die alle so doof sind, kann man die natürlich auch nicht wählen. Das Nichtwählen wird sogar zum zivilen Ungehorsam hochstilisiert, als eine revolutionäre Handlung geheiligt, und wenn ich diesen Text gleich publiziere, werden sicher einige amüsiert darüber fliegen und bei einem guten Tröpfchen in sich hinein schmunzeln, wie dieser Sozi sich wieder einen abstrampelt, nur weil seine Partei wieder einmal Stimmen verloren hat.

Ich habe es schon öfter mal verbloggt, dennoch an dieser Stelle erneut der Hinweis: Es heißt Demokratie, das kommt von demos und kratein – also die Herrschaft derer, die das Wahlrecht genießen. Demos, das seid Ihr. Das anstrengende dabei ist: Alles muss man selber machen. Es gibt keine Dienstleister*innen, die Ihr beauftragen könnt. Ihr müsst alles selber machen. Ihr müsst selber in die Parteien eintreten.

Aber es hapert, will mir scheinen, schon viel früher: Ihr müsst Position beziehen und diese beibehalten. Das dauert. Allein das Beziehen einer eigenen Position dauert Wochen – also eine Position so zu beziehen, dass man sich fest genug darin fühlt, sie ernsthaft verteidigen zu können. Dazu muss man ziemlich lange diversen Diskursen zuhören und erstmal nichts sagen (da fliegen schon die ersten aus der Kurve). Dann muss man sich vorsichtig äußern und anfangen, mitzudiskutieren, ohne eine feste Position zu haben – denn die entsteht da nämlich gerade erst.

Und dann hab ich endlich meine Position, hurra! und dann gibt es in der Partei doch glatt welche, die haben eine ganz andere, ja shice! Gleich mal keinen Bock mehr! Abhauen, lieber Piratenpartei gründen und schön im Bällebad über Zeitreise-Anträge diskutieren (ok, ich werde unsachlich…).

Wenn wir hier einen Reboot wollen, dann müssen wir da anfangen, wo’s weh tut und wo die meiste Arbeit auf Euch wartet: Ihr müsst in die SPD eintreten (oder in eine andere der demokratischen sog. Altparteien). Lest das Hamburger Programm von 2007, legt es beiseite und kommt zu uns. Ihr haltet die SPD für unwählbar, also verändert sie, im Hamburger Programm steht, in welche Richtung (PDF). Ihr haltet das Personal der SPD für untragbar dämlich, kommt, und werdet selber das Personal! Jeder rechtsradikale Spinner kriegt sich aufgerafft, um seine Zeit bei der NPD, der AfD oder sonstwo zu verbrennen, und Ihr sitzt und sagt „Tja. Haben der Loick und seine Genoss*innen halt shice performt. Ist der doch selber Schuld, was ficht’s mich an?“

(Ist der eigenlich so bescheuert, merkt der das nicht? Was schreibt der denn da hin!? Das soll ich mir antun? Arbeitarbeitarbeit und dann dafür beschimpft werden? Da müsste ich ja malle sein, mich freiwillig in eine Partei zu begeben und dann ständig angefeindet zu werden. Von so Leuten wie… äh… mir. Und dann machste und tuste, und dann sagen alle immer nur „Tja!“, schreibt der doch selber! Nee, nee, das soll der Yrre mal schön alleine machen…)

Liebe Leute, et is ja nun auch so: Es ist bedeutsam, sich in einer Partei zu engagieren. Es ist wichtig. Und Ihr könnt dann mit Fug und Recht andere beschimpfen, die nur auf der Couch sitzen und „Tja!“ sagen. Ihr könnt zu Euren Kindern sagen: Ich habe mir den Arsch aufgerissen, ich habe auch nicht alles besser gewusst, aber ich habe gestrampelt und gerudert und ich habe versucht, Menschen in Position zu bringen, die zwar möglicherweise eine Vorratsdatenspeicherung für eine gute Idee gehalten haben, die aber eine klare Haltung gegen rechte und nationalistische Strömungen eingenommen haben.

Epilog

Teil des Rituals ist ja nun inzwischen auch, dass ich nach jeder Wahl so einen Text wie diesen hier schreibe. Das ist ja meinem eigentlichen Ziel nicht zuträglich, denn eigentlich macht es ja Spaß, in der SPD zu arbeiten. Aber ich bleibe dabei: Sich in der SPD zu engagieren ist bedeutsamer, als sie nicht zu wählen. So ein bisschen Sinnstiftung tut ziemlich gut!

 

 

Von Maxim Loick

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2 Kommentare

  1. Hi,
    zunächst gebe ich zu, dass ich den negativen Teiln nur überflogen habe und eher beim positiveren Epilog hängen geblieben bin.
    Nehmen wir mal Deine SPD:
    Ich wohne seit knapp zwei Monaten in der Nordstadt. Postalisch hat mich bisher nur Werbung für Michael Faber erreicht (Ups, falssche Partei). Im Internet stoße ich auf http://www.spd-bonn-nord.de. Über die Bonner Nordstadt informiert mich dann ein Artikel aus der Wikipedia. Unter der Rubrik „Kontakt“ folgt dann der Hinweis auf ein Kontaktformular und das Bürgerbüro (ohne Öffnungszeiten). Tatsächlich ist da sogar ein Hinweis auf Twitter, den habe ich aber erst beim zweiten Blick verstanden. (Der Account ist aber auch nicht interessant, weil er zu 90% eine Linkschleuder ist.)
    Also gucke ich in den Reiter Termine und die Seite ist leer. Weiter geht es zum Reiter „Ansprechpartner“. Dort finde ich dann Elke Apelt.

    Ihre Seite gefällt mir schon besser, da gibt es so einen schönen Button: „Mitmachen“. Hab ich draufgeklickt und dann habe ich wieder drei Möglichkeiten:
    Die erste bringt mich zu spd-bonn-nord.de zurück. Die zweite fordert mich auf Mitglied der SPD zu werden und die dritte verweist auf das „Netzwerk behinderter Menschen in der SPD“.
    – Schick ist allerdings, dass man einen Kalender abbonieren kann.

    Aus grauer Vorzeit weiß ich, dass es regelmäßige Stammtische in Tannenbusch und in einem Spanier in der Nordstadt/im Bistro des SSF gibt (gab?).
    Ich will Euch keine Mail schreiben oder ein Formular ausfüllen. Ich will direkt wissen, wo ich hingehen muss, um Euch zu treffen.
    In welcher Form ich Mitmachen kann, habe ich übrigens während meines Besuchs auf den Seiten nicht verstanden. Was sind den konkrete Projekte, in die ich mich einbringen kann?

    Was ich mit dieser längeren Antwort sagen will:
    Die Hürde bis zum ersten Kontakt ist schon so umständlich zu nehmen, dass ich mich in der selben Zeit schon bei vier anderen Projekten melden, einbringen und verabreden kann.

    Herzliche Grüße
    Christian

    PS. Ich schaffe es wieder nicht zum CoderDojo, mein Kalender quillt grade wieder über. :)

    1. Hallo Christian, danke für dieses eindrucksvolle Feedback! Ich werde das so zum Unterbezirk (also der SPD Bonn) mitnehmen, mit der Website-Landschaft bin ich auch nicht zufrieden.

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