Eigentlich fühle ich mich zu schwach, um über die Wahlergebnisse in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt zu bloggen. Wie schön, dass wenigstens noch eine überzeugende Politikerin wie Malu Dreyer es schafft, die Wähler*innen doch noch zu erreichen. Wie bitter aber sind die Ergebnisse in den beiden anderen Ländern. Andererseits: Unsere Kandidaten dort kenne nicht mal ich als Sozi so richtig: Nils Schmid in Baden-Württemberg und Katrin Budde in Sachsen-Anhalt, ok?
Bei Malu Dreyer wusste ich das, weil sie bei D64 im Beirat ist und ich sie auf der re:publica kennenlernen durfte – was für eine fantastische Person! Und wie schön, dass diese fantastische Politikerin sich gegen die Weinkönigin durchsetzen konnte, das rettet mein Vertrauen in die Menschheit.
Die/der Kandidat*in ist das A & O, will mir scheinen. Bei Peer Steinbrück 2013 hatten wir ein großartiges Programm, von dem ich mir gewünscht hätte, dass meine Filterbubble das damals genauso rauf- und runterzitiert hätte wie dieser Tage das der AfD. Aber man hat Peer dieses Programm nicht abgenommen. Zu viel Gestolper, zu viele Altlasten aus Zeiten der Deregulierung der Märkte, zu dünnhäutige Auftritte (dabei waren auch ein paar richtig starke dabei, aber Schwamm drüber…)
Bei Malu Dreyer passt alles, sehr gute Politik gemacht, sehr gute in Aussicht gestellt, das ganze mit Haltung und Rückgrat vertreten, dabei fröhlich geblieben. Wenn so jemand nicht gewonnen hätte, dann wäre es das wirklich gewesen mit der Demokratie. Allein, allzu viele von solchen Leuten kannste Dir auch nicht einfach backen.
Noch ein Wort zu den vielen Zitaten aus den diversen AfD-Wahlprogrammen in den letzten Tagen: Die sollten ja die Ekelhaftigkeit dieser Ansammlung von Demokratiefeind*innen entlarven, aber ich glaube, wir haben damit das Gegenteil dessen bewirkt, was wir erreichen wollten. Diese rechten Hetzer*innen haben das ja nun mal ganz offen in ihr Programm geschrieben, weil sie damit auf Stimmenfang gehen wollten. Und wir haben ihnen den riesigen Gefallen getan, das in epischer Breite publik zu machen. Viel zu wenig haben wir verbreitet, wofür die anderen Parteien stehen. Die haben auch seitenweise Programme geschrieben, die sind aber nicht für umme von uns geteilt worden. Das würde ich mir wünschen. Ich bin davon überzeugt, dass die Parteien ihren Job nämlich gar nicht so schlecht machen, wenn es darum geht, Positionen zu erarbeiten. Aber es interessiert sich niemand so recht dafür, wenn die Positionen ganz ok oder gut sind. Damit holste keinen Extraklick auf dein Blog.
Nicht falsch verstehen, ich finde es wichtig, dass alle wissen, was rechte Hetzer*innen da nun fordern, damit man sie darauf festnageln kann. Aber wir hätten das vielleicht besser in Beziehung setzen müssen zu den Positionen, die die anderen Parteien vertreten.
Und noch etwas: Wer bin eigentlich ich und wer hört mir zu? Jemand, der jeden Pfennig zweimal umdrehen muss, soll mir zuhören, der ich immer so fröhlich mit meinem Apple MacBook Pro für 1500,00 Euro nach Berlin reise und zurück? Mir, der ich Zeit und Ressourcen habe, ein Coder Dojo nebenbei zu veranstalten? Mir, der ich gerade ein Start-up gründe? Ich bin von denen, die sich abgehängt fühlen, so weit weg wie nur irgendwas, genau wie so viele andere Sozis, die zwar alle super sind und immer ganz viel recht haben und vieles richtig durchschauen – die aber auch allesamt als arriviert wahrgenommen werden. Diese coolen Mathias Richels, Nico Lummas und sagenwirmal Sebastian Reichels. Ich bin wirklich Fan von jedem einzelnen der aufgezählten, aber ich fürchte, dass die, die wir als Sozis einsammeln sollten, regelrecht Angst vor uns haben: Immer einen lockeren Spruch drauf, auf alles eine Antwort, jeden Gedanken schon zweimal gehabt, von drei Seiten beleuchtet und mit fester Meinung im besten Sinne ausgestattet. Ich glaube, was so ein*e sich als abgehängt Empfindende*r braucht, ist mehr Gemeinsamkeit.
Gerade hat Armin Nassehi einen Artikel darüber geschrieben, dass die Sozis diejenigen sein müssen, die alle unter einen Hut bringen. Wir Sozis müssen den rechten Parolen stimmige und glaubwürdige demokratische Konzepte entgegensetzen. Auch wenn Sigmar Gabriel wieder einmal den Ton nicht richtig getroffen hat und den Zeitpunkt eher blöd getroffen hat: Er hat natürlich recht damit, dass Investitionen in Wohnungsbau und Bildung getätigt werden müssen und dass diese natürlich gleichermaßen bereits hier lebenden wie neu ankommenden zugute kommen müssen. Bei den NRW Jusos hat das neulich Frederick Cordes ganz hübsch beschrieben, ich musste erst ein wenig lachen, aber am Ende bin ich doch etwas nachdenklich geworden, denn dieser Text bringt das Dilemma ganz gut auf den Punkt: Wo wir eine gute Idee umsetzen, reißen wir mit dem Hintern drei andere wieder ein.
Aber will ich im aktuellen politischen Klima eigentlich irgendwas gemeinsam haben mit solchen, die der AfD ihre Stimme geben oder auch nur im Verdacht stehen, das zu tun? Die Fronten sind bereits derart verhärtet, dass kaum noch gesprochen werden kann, Etiketten sind geklebt und können nicht so einfach wieder abgezogen werden, vielleicht über Jahre behutsam wieder abgeknibbelt. Wie finden wir eine Sprache, in der wir glaubhaft und authentisch darüber sprechen können? Ob man mit einer Blume mal jemanden besucht, der/die sich zu Hause verkrochen hat und sagt: „Hier ist eine Blume, die schenke ich Dir. Erzähl mir.“ Und sich erstmal den ganzen Sermon anhören, mit allen Ressentiments und Ungeheuerlichkeiten. Und sagen: „Ich höre Dich.“ Und dann: „Komm mit. Wir gehen hin zu den Geflüchteten. So wie ich Dir zugehört habe, so hören wir jetzt den Geflüchteten zu. Lass uns vielleicht eine Blume mitnehmen.“ Ob das klappen kann? Ob sich jemand findet, der sich das traut und wirklich probiert? Und der das nochmal probiert, wenn es nicht klappt? Der die Ruhe bewahren kann und dabei nicht aussieht wie ein Fähnchen im Wind? Der es schafft, zu sagen „ich höre dich“, ohne zu sagen „ich verachte dich“? Der es schafft, die Äußerungen von der Person zu trennen und den Mut hat, den Versuch zu wagen, diese Person nicht aufzugeben und ihr andere Positionen zu vermitteln? Der die Muße hat, das behutsam zu tun? (Ich klinge schon wie so ein Geistlicher, herrje!)
Ich gehe davon aus, dass ich mich auf einige heftige Kommentare gefasst machen kann, weil wahrscheinlich einige diesen Text als „AfD-Wähler-Verstehen“ deuten werden, und somit als Relativierung der ungeheuren Forderungen dieser Hetzer*innen.
Aber ich bin ganz im Gegenteil der Überzeugung, dass wir gerade den Hetzer*innen die vielen Nichtwähler*innen eben nicht überlassen dürfen, dass gerade wir Sozis zu den Nichtwähler*innen hingehen müssen. Ich weiß ganz sicher, dass wir hervorragende Ideen haben, denen sie viel lieber folgen würden als der plumpen Ausgrenzung und den brutalen Forderungen der AfD. Ich bin sogar sicher, dass sie unsere bestehenden Positionen bereits voll unterstützen würden, aber es kümmert sich niemand um sie, es spricht niemand ihre Sprache und es will sich niemand eine Blöße geben.
Wer soll das tun?