Ständig nimmt mein Gehirn Korrekturen an der Realität vor und ich bin nicht immer sicher, ob zum Besseren. Ein Phänomen, von dem ich annehme, dass es auch andere Menschen betreffen könnte*).
Offensichtlich wird das an Songtexten. Ich meine mich zu erinnern, dass ich schon mal was darüber gebloggt habe (hab aber jetzt keine Lust, das rauszusuchen), wie ich als Kind Abba und die Beatles gehört habe, ohne ein Wort von den Texten zu verstehen – und wie die Musik und die geheimnisvolle Sprache, die ich irgendwie nur auf der emotionalen Basis verstanden habe, etwas ganz besonderes in mir ausgelöst haben. Und wie das zunehmende Verstehen der Texte diesem Gefühl die Magie genommen hat. Am Ende ging’s um Liebe zwischen zwei Menschen oder sowas, was mir, verglichen mit dem damals magischen Empfinden, enttäuschend banal vorkam.
Vor diesem Hintergrund ist es quasi gut, dass ich Französisch nicht so gut verstehe, so dass bei einigen Songs von Zaz zumindest eine ferne Erinnerung an das alte Abba- und Beatles-Gefühl auflebt. Oder bei dieser (ich glaube) arabischen Version von „Aisha“.
Aber auch bei Songs, deren Texte ich inzwischen kenne, gibt es ein paar hartnäckige Ecken, in denen sich mein Gehirn weigert, die Realität gelten zu lassen, nämlich an all den Stellen, an denen ich weiter falsch höre. Axel Hacke hat ja mehrere Bestseller über falsch gehörte Songtexte geschrieben.
Marius Müller-Westernhagen singt in „Giselher“: „Deinen Ring, den hab ich vergraben.“ Was für eine Enttäuschung gegenüber dem von meinem Gehirn hartnäckig weiter gehörten „Deinen Ring, den hab ich verkauft“! Der ganze Song ist ja eigentlich ein für die damalige Zeit bemerkenswerter Regelbruch, dass Marius Müller-Westernhagen als MANN ein Liebeslied singt und am Ende ist der Besungene PETER! Inzwischen lockt das natürlich niemanden mehr hinter dem Ofen hervor, aber als Jugendlicher fand ich das saucool. Und der perfekt da rein passende Regelbruch war für mich, dass er den Ring gegen alle Romantik verkauft hatte. Aber in Wirklichkeit hat er ihn – romantische Vollenttäuschung – vergraben. Meh.
Und Mudhoney singen „Jesus take me to a higher place“ in „In and out of grace“. Und hartnäckig, wenn mich der Song während Müdigkeit anspringt, muss ich „Jesus take me to a Heia place“ verstehen. Ein blödes, bewusst von mir hergestelltes Wortspiel, geht aber nie mehr weg. Das ist übrigens ja ein Kniff, den man mutwillig ausweiten kann, wenn man will. „Parrot Ice City“ oder wahlweise „Para Dice City“ statt „Paradise City“ (You’re doomed! Geht nie mehr weg! Harrharr!).
Oder „Marcel“ (hatte ich auch schon mal verbloggt, glaub ich). Wenn Ihr in allen Songstellen, die Euch einfallen, statt „myself“ immer „Marcel“ einsetzt: „All by Marcel“, „Me, Marcel and I“, „Dancing with Marcel“ – und vor allem „I don’t know anybody else and when I think about you I touch Marcel“. Ich finde das sehr sehr witzig (aber vielleicht lässt sich das nun wieder nicht auf Euch übertragen).
Ich bin nicht sicher, ob diese Korrekturen der Realität etwas Gutes sind. Aber nach dem ersten Schmerz, der durch die Erkenntnis hervorgerufen wird, dass die Realität eine andere, viel banalere ist, stellt sich eine weitere, wieder versöhnende Erkenntnis ein: Das Bewusstsein darüber, dass es zwei, oder vielmehr unendlich viele, Realtitäten gibt. Und das ist wieder ganz schön, weil man je nach Bedürfnis und Situation, eine Wahl hat.
Am Montag geh ich auf das Mudhoney Konzert in Frankfurt (Köln war schon ausverkauft). Ich mach da mal einen neuen Abgleich.
*) Ab jetzt ohne, dass ich Bock darauf hätte, den Gedanken sozialpolitisch voll auszuweiten, das kann ja vielleicht eine*r von Euch bei Gelegenheit mal weiterspinnen.
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