Bösartigkeiten

Komm, lass mal bisschen abschweifen. Ich fang mal mit was schönem an: Frau Gebauer von der FDP hat heute was lustiges gemacht, sie hat 2,6 Mio Euro ausgegeben für eine landesweite Brockhaus-Lizenz. Das ist natürlich eher nicht so klug, weil das viel Geld für ziemlichen Unsinn ist, aber ich bin eigentlich schon froh, mal was ohne Bösartigkeit zu lesen. Gegen Karl Lauterbach zum Beispiel hetzen die Wichser ohne Scheu. Ich kann gar nicht sagen, wie stark ich Karl Lauterbach gerade finde! Nicht nur, weil er alle Szenarien von Corona korrekt vorhergesagt hat, nicht nur, weil er entgegen aller Anfeidungen unermüdlich weiter in fabelhaft sachlich argumentiert, sondern weil er auch wirklich verantwortungsvoll seine eigene Rolle reflektiert. Und weil er es irgendwie trotzdem schafft, nicht zu grollen und nicht frustriert scheint. Wie so’n Sozi, ey! Und nebenbei ist er frei von jeder Bösartigkeit, erstaunlich.

Bösartig hingegen der rassistische Anschlag von Hanau, der sich heut jährt. Die Namen der Ermordeten sind:

  • Ferhat Unvar
  • Mercedes Kierpacz
  • Sedat Gürbüz
  • Gökhan Gültekin
  • Hamza Kurtović
  • Kaloyan Velkov
  • Vili Viorel Păun
  • Said Nesar Hashemi
  • Fatih Saraçoğlu

Ich habe diese Namen gerade per copy&paste in diesen unbedeutenden kleinen Text eingefügt, weil diesen Namen – Asche auf mein Haupt! – weder kenne, noch schreiben noch aussprechen kann. Und das ist ein ganz wichtiger Aspekt beim Thema Bösartigkeiten: Ich meine das ja nicht böse. Aber shice ist es dennoch von mir. Die Morde von Hanau treffen nämlich eben nicht „uns alle“, wie es immer mit bestem Willen in den Minuten und Stunden nach der Tat allenthalben widerhallt. Sie treffen nicht mich. Die Rassist*innen greifen nicht mich, cis-white-male from the very german countryside, an. Natürlich soll das „uns alle“ Solidarität ausdrücken, aber das täuscht nur allzu leicht darüber hinweg, dass dem gar nicht so ist. Ich mach jetzt erstmal folgendes: Ich tippe die neun Namen nun der Reihe nach selbst noch einmal hier hin, Buchstabe für Buchstabe:

  • Ferhat Unvar
  • Mercedes Kierpacz
  • Sedat Gürbüz
  • Gökhan Gültekin
  • Hamza Kurtović
  • Kaloyan Velkov
  • Vili Viorel Păun
  • Said Nesar Hashemi
  • Fatih Saraçoğlu

Das hat mich sechs Minuten dreiundreißig gekostet und ich musste die Zeichen ă und ğ dann doch kopieren, weil ich nicht die geringste Ahnung habe, wie ich die tippen soll auf meiner Tastatur. Und wie diese Namen korrekt ausgesprochen werden, weiß ich immer noch nicht. Es ist eine Schande, obwohl ich nun wirklich alles andere als bösartig sein will. Ich kann nur mutmaßen, dass gerade dieses Unsichtbarsein bei den Betroffenen eine Ohnmacht auslösen muss: Das sind doch wir und dieser weißdeutsche bricht sich ewig einen ab und kann unsere Namen noch immer nicht richtig aussprechen. Die Erkenntnis des Tages ist: es bedarf keiner bösartigen Absicht, um bösartig zu handeln. Das ist rein wissenschaftlich natürlich ein alter Hut, Sender und Empfänger und so, jajaja… Aber mir wird gerade noch mal klar, dass es erstens nicht ausreicht, die Namen der Opfer von Hanau zu copy&pasten (was natürlich aber immer noch besser ist, als die Namen nicht zu verbreiten!), dass dieses Sender/Empfänger-Dings unmittelbar schmerzhafte Effekte hat, die es aus dem wissenschaftlich-theoretischen sehr unverblümt ins real spürbare verlagern. Ach Mann, ey! Ich möchte mehr Köpfe, Hände und Zeit haben! Ich möchte türkische Laute können! Ich würde so gern sagen: I’m on it! Ich komme zu Euch! Aber morgen muss ich wieder aus Logineo den Stundenplan für die Kinder zusammensuchen, die Wäsche machen, ein Zwei-Tage-Audit nachbereiten und der Dienstleisterin Elektronik einen alternativen Oszillator freigeben, weil die Weltmärkte für Elektronikbauteile gerade etwas angespannt sind.

Ich würde mir so gern wenigstens die Namen merken können, aber ich fürchte, ich kann mich nur ein wenig kleiner machen und um Nachsicht bitten. Ich möchte wirklich nicht bösartig sein und wenn ich bösartig aussehe, mich bösartig anhöre oder meine Handlungen bösartig sind: Bitte sagt mir, wie es bei Euch ankommt.

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Kategorisiert in Zusammenleben

Von Maxim Loick

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