Neunter Juli, es ist mal wieder soweit: Ich bin mit der #Pollykowskaja gerade die letzte Runde gegangen, vorbei an einem gelben Weizenfeld und der Wind stand so, dass mir der Geruch des reifen Korns in die Nase gestiegen ist und mich flugs in meine Kindheit zurückversetzt hat.
Just diese Woche war ich gleich zweimal in #Rhade, dort wo ich Kind war, um meine Mutter zu besuchen. Als wir zusammen zwischen Rhade, Marbeck, Heiden und Borken mit dem Auto zwischen den Feldern durchfahren, und wie ich so ob des auch dort vorherrschenden Geruchs von reifem, trockenem Korn gedanklich wegzudriften drohe, sagt meine Mutter: „Das sieht nach Noternte aus, die haben wirklich früh gemäht. Da wird die Ernte wohl scheiße ausfallen dieses Jahr. Wahrscheinlich zu trocken.“ Ich denke: Ich hab Dich immer nur als die Lehrerin an der Grundschule gesehen, und Du hättest es Dir wohl verbeten, wenn ich Dich je als Landfrau tituliert hätte. Aber als sie diese zwei Sätze sagt, fällt mir auf, dass sie Ahnung und Erfahrung mit diesen Dingen hat.
Später, abends beim Grillen, erzählt sie, wie sie, als sie in den 1960er Jahren aus der Stadt mit rot gefärbten Haaren nach Rhade kam, meinen Vater damit beeindruckt hat, dass sie Kühe melken konnte (und wahrscheinlich immer noch könnte). Er habe auf einer Feier oder sowas irgendwie über das Melken gesprochen und meine Mutter mit den rot gefärbten Haaren habe (das ist ihre Version) gesagt: „Das bisschen melken, was regen Sie sich auf? Das kann ich auch.“ Und sie erzählt dazu, dass sie, nachdem sie von Marienburg nach Holstein wegen des elenden Krieges geflohen waren, in ihrer Kindheit auf dem Hof in Holstein das Melken gelernt habe. „Ich konnte das natürlich!“, sagt sie. Und mein Vater habe ihr nicht geglaubt und das für Koketterie gehalten. Und ich weiß nicht, anscheinend wurde Koketterie in den 1960er Jahren auf dem westfälischen Land für eine Sache gehalten, der man auf den Grund gehen muss, jedenfalls erzählt meine Mutter, dass sie es ihm zeigen musste. Sie ist zwischen die Kühe gegangen, mit Melkschemel und Eimer, und hatte schon die Stirn in die Flanke der Kuh gedrückt, da soll mein Vater gesagt haben: „Ist schon gut. Ich sehe, wie Sie mit den Kühen umgehen, ich sehe, dass Sie melken können.“
Sie haben sich gesiezt! Wie in Downton Abbey oder sowas, wie in einer Zeit weit vor der unseren. Und ich hatte die Geschichte noch nie gehört, obwohl meine Mutter inzwischen über achtzig ist und eher dazu neigt, jede Geschichte vier bis fünfmal zu erzählen. Naja. Aber wenn das Korn reif ist und nach Rhade riecht, dann mag ich solche Geschichten gern aufschreiben.
Fräulein Peters war meine Klassenlehrerin von Ostern 1964 bis zum Sommer 1967, als ich zur Gerhard-Hauptmann-Schule gewechselt bin. Sie war eine engagierte und vergleichsweise geduldige Lehrerin. die auch die kleinen alltäglichen Katastrophen ihrer vierzig Schüler zwischen sechs und neun Jahren souverän gemeistert hat. Zwei – dreimal hat sie mich in ihrem grauen VW Käfer mit Düsseldorfer Kennzeichen bei den Eltern abgeliefert, wenn ich krank oder verletzt war. Verglichen mit Ihrer Kollegin Fräulein Greuling, die den Schülern im Zweifelsfall die Weisheit einprügelte, hat sie als Junglehrerin einen progressiveren Unterricht praktiziert.
Für ihre roten Haare habe ich mit sechs Jahre noch keine Blick gehabt.
Möglicherweise bin ich ihr als der Schüler mit der schlechtesten Handschrift in Erinnerung geblieben.
Fräulein Peters konnte auch gut unterrichten.
Stephan Rubbert
Hallo Stephan,
ich habe meiner Mutter von Deinem Kommentar hier erzählt und sie erinnert sich tatsächlich an Dich und an Deine Handschrift (die scheint ja unvergesslich gewesen zu sein!), sie ist hocherfreut und lässt allerbeste Grüße ausrichten!