Wieso bricht eigentlich keine Panik aus, wo wir jetzt wissen, dass wir rund um die Uhr überwacht und auf Schritt und Tritt von Geheimdiensten verfolgt werden? Warum zünden die finsteren Szenarien nicht, die wir uns ausmalen, warum gehen nur wenige auf die Straße und demonstrieren gegen Prism und Tempora?
Vielleicht liegt es daran, dass die Situation sich vielen so darstellt: Wie’s aussieht, haben die Geheimdienste uns ja nun schon seit Jahren überwacht (keine Ahnung, ob das so stimmt, aber bei mir ist es so rein gefühlsmäßig bisher so angekommen). Und wenn ich auf die letzten Jahre so zurückblicke: Mir ist da nicht viel passiert. Ich konnte ohne Probleme in die USA einreisen und keine schwarze Sondereinheit hat versehentlich meine Wohnung gestürmt. Also alles nicht so schlimm mit der Überwachung? Hmm.
Ein weiterer Gedanke, den vielleicht auch viele haben: Ihr glaubt doch nicht, dass mich ein SEK in ein geheimes Folterlager nach Ruanda verschleppt, nur weil ich Bombe und Allah in eine E-Mail geschrieben habe? Für so doof hält doch niemand die Geheimdienste, die 6 Milliarden Dollar Jahresbudgets verschlingen. Viel wahrscheinlicher erscheint einem da fast, dass die inzwischen so smart mit unseren Daten umgehen können, dass zum Beispiel dieser Text, den ich hier gerade schreibe, schon seit Mai auf den Servern der NSA vorliegt, vorausgerendert anhand der über mich gesammelten Daten.
Was bleibt, ist zunächst mal ein amorphes Unbehagen, das sich im Alltag leicht verdrängen lässt. Schlussendlich weiß ich immer noch nicht, was diese Geheimdienste denn nun über mich wissen und was sie damit anfangen. Und ich weiß immer noch nicht, ob ich fälschlicherweise in deren Visier geraten kann und ich weiß nicht, was dann passieren wird. Vielleicht gäbe es ja jetzt, wenn ich heute in die USA reisen wollte, plötzlich doch Probleme bei der Einreise, weil ich in diesem Blog neulich Asyl für Edward Snowden gefordert habe? Wissen die nur, dass ich ihre Methoden völlig shice finde oder wissen die auch, dass ich in der SPD bin? Wie beurteilen die das, sehen die darin einen Beleg dafür, dass ich mich für Frieden, Freiheit und Demokratie einsetze oder nehmen die mich als Quasi-Kommunisten wahr und fühlen sich durch mich bedroht? Lesen die nur Teile oder wirklich alles von mir und wissen deswegen, dass ich eigentlich ein ganz guter Typ bin?
Keine Ahnung.
Die Menschen murren nur statt zu schreien, weil das Bedrohungsszenario ein intellektuelles ist, ein Konstrukt von Gedankenspielen. Edward Snowden hat enthüllt, dass 500 Millionen Kommunikationsverbindungen gesammelt wurden, eine abstrakte Zahl. Er hat enthüllt, dass Seekabel angezapft werden und dass die NSA Vorratsdaten von Telekommunikationsanbietern erhalten hat. Da geht es um abstrakte Daten – die Verbindung zu konkreten persönlichen Schicksalen ist da noch weit. Deswegen schreien die Leute nicht, sondern murren nur. Dieses amorphe Unbehagen schleicht sich zu langsam in die Köpfe und ist zu amorph.